Ich fühle mich geehrt. Einer der schönsten Orte Schwedens ist meine neue Heimat geworden. Ab jetzt heißt es an Plätzen arbeiten, an denen andere ihren Sommerurlaub verbringen: im Abisko Nationalpark, direkt neben dem beliebten Kungsleden. Das mag beim genaueren Nachdenken nicht besonders verlockend klingen, muss ich doch genau dann arbeiten, wenn sich massenhaft Touristen eine Auszeit vom Alltag nehmen und ihr persönliches Abenteuer in der schwedischen Wildnis genießen. Desweiteren wird diese Aussage scheinbar durch den Aspekt in eine negative Richtung gestoßen, dass ich alle fünf Tage den Mount Njúlla hinauf steigen muss. Tatsächlich war der erste Aufstieg auf den Berg kein Zuckerschlecken. Doch oben angekommen, wurde ich mit einem grandiosen Ausblick belohnt. Solche fantastischen Perspektiven gehören am Arbeitsplatz der Seltenheit an.
Vom Tal bis zum Gipfel des 1.164 m hohen Berges, der im schwedischen Nuolja genannt wird, erstreckt sich ein Transekt. Entlang dieser Linie wandelte bereits vor hundert Jahren der schwedische Botaniker Thore Fries. Er war derjenige, der dieses Projekt ins Leben gerufen hat. Schon damals dokumentierte er die Vegetation im Laufe der Zeit. Wir treten heute in seine Fußstapfen und kartieren sämtliche Pflanzen, die uns begegnen. Nach einem fast dreistündigen Aufstieg (ich hoffe, wir werden in absehbarer Zeit fitter!) beginnt unsere Arbeit. Von oben nach unten wird jede Pflanzenart mit ihrem aktuellen Entwicklungsstadium notiert. Meter für Meter kämpfen wir uns von oben durch die zunehmend dichter werdende Vegetation bis ins Tal. Bisher ist uns das Wetter nicht gut gesonnen. Immer wieder werden wir von Schneefronten überrascht. Am Anfang des Juni fühlt es sich an wie im frostigen Winter. Je tiefer wir kommen, desto wärmer wird es und wir werden belohnt mit faszinierenden alpinen Arten.
Am Ende dieses fast zehnstündigen Arbeitstages kommen wir zufrieden nach Hause und genießen den nicht enden wollenden Abend. Und obwohl wir sie nicht sehen, sie begleitet und die ganze Nacht hindurch. Schnell vergessen wir, wie spät es ist. Nur die Müdigkeit erinnert einen daran, dass die Nacht längst begonnen hat.