Dieser Abend gleicht in vielen Hinsichten den Abenden vor diesem heutigen Abend. Ich sitze gemeinsam mit meiner Mitbewohnerin in unserem Zimmer. Es gleicht an die Atmosphäre in einer Jugendherberge. Zwei Doppelstockbetten drängen sich in die Ecken. An den Fußenden stehen zwei weiße Kleiderschränke, die unsere Kleidung, Ausrüstung und Nahrung aufbewahren. Zwischen unseren Betten steht ein kleiner Nachttisch, voll mit kleinen Dingen. Meine Gemüsepflanzen auf der Fensterbank bringen ein frisches Grün in den Raum. Er wirkt gleich viel lebendiger. Unsere Blicke schweifen von den Laptops auf unseren Schößen nach draußen. Die Sonne lässt die frischen Blätter an den Birken vor unserem Fenster noch lebendiger erscheinen. Es ist gleich 23 Uhr. Die Müdigkeit macht sich breit, aber in dieser Nacht können wir keinen Gedanken an die Bettruhe verschwenden. Zu groß ist unser Drang, die Mitternachtssonne zu erleben. Wir machen uns auf die Jagd nach dem perfekten Spot für das perfekte Foto.
Mit dem Wohnmobil geht es in Richtung norwegische Grenze. Etwa 10 Kilometer von Abisko entfernt liegt das kleine Dorf Björkliden. Es ist eigentlich kein Dorf, denn es besteht einzig und alleine aus einer Ansammlung von Appartements, Campingplätzen und einem Hotel. Nach einer kurzen Wanderung gelangen wir über die Baumgrenze. Uns eröffnet sich ein grandioser Blick in alle Richtungen. Südöstlich leuchtet der Njúlla in warmen Braun- und Grüntönen. Dahinter schimmert die Silhouette von Schwedens berühmtester Talsohle Lapporten in einem stimmungsvollen Abendlicht. Das Trogtal zeigt sich an diesem Abend ruhig und sanft. Der Schein der Sonne breitet sich über den gesamten Torneträsk aus, der sich von Lapporten bis zur Bucht Pålnoviken ausdehnt. Direkt über der Bucht ragen die steilen Felswände des norwegischen Sördalen in den Himmel. In diesem Tal liegt die Pålnostuga, die dem aufmerksamen Leser bereits aus meinen vergangenen Abenteuern bekannt sein dürfte.
Die Uhr tickt unaufhörlich weiter. Mit großen Schritten geht es auf Mitternacht zu und wir haben den perfekten Spot noch immer nicht gefunden. Auf dem Plateau haben sich bereits Menschen versammelt. Alle wollen an diesem Abend diesen ganz besonderen Moment genießen. Es erinnert an die Silvesternacht – mit dem Unterschied, dass es jetzt taghell ist und wir mit einem dünnen Pulli bekleidet in der Abendsonne stehen. Wir erreichen einen Hügel, an dessen Fuß sich ein kleiner See ausbreitet. Wir blicken uns an und nicken uns zu. Das ist er. Der perfekte Spot für DAS Foto. Die Zeit sitzt uns im Nacken und wir beschäftigen uns mit der richtigen Kameraeinstellung. Die letzten Testfotos sind im Kasten und dann ist der Moment gekommen. Es ist 24 Uhr und das Feuerwerk aus Blitzen beginnt. Als mehr oder minder professionelle Fotografen belächeln wir die Menschen, die dutzende Versuche starten, mit ihren blitzenden Digitalkameras das Sonnenlicht einzufangen. Wir vertrauen auf unsere Fertigkeiten und optimieren die Fotos durch gekonnte Bildkompositionen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen.
