Europa trocknet aus. Der gesamte Kontinent wird seit Wochen von einem Hochdruckgebiet beherrscht, das für unmenschliche Temperaturen sorgt. Hitzewellen ziehen vom Mittelmeergebiet bis nach Skandinavien. Schweden bleibt nicht von den heißen Temperaturen verschont. Der Juli ist der heißeste Monat im Land seit Beginn der ersten Wettermessungen in Schweden vor 262 Jahren. Die Folgen sind dramatisch und im ganzen Land erkennbar. Die Kommune Ljungby in Mittelschweden, die wir nur zu gut von unseren Urlauben im Sälenfjäll kennen, hat es besonders hart getroffen. Anwohner mussten evakuiert werden. Zu schnell breiten sich die wütenden Flammen aus. Seit Wochen hat es nicht mehr geregnet.

Auch in Abisko spielt das Wetter verrückt. Die durchschnittliche Temperatur im Juni des Jahres 2018 lag bei 16 Grad Celsius. Normalerweise pendelt sich der Durchschnitt bei zwölf Grad Celsius ein. Was diese vier Grad Unterschied im Durchschnittswert bedeuten, spüren wir am eigenen Leib. Die Sonne brennt vom Himmel. Unser kleines Thermometer vor unserem Fenster mit Nordblick zeigt 27 Grad Celsius an. Es hängt im Schatten. Selbst die Meteorologen staunen über dieses Extremereignis. Es sei nicht normal, dass ein Hochdruckgebiet über einen solch langen Zeitraum anhält, ohne von einem Tiefdruckgebiet verdrängt zu werden. Selbst über dem Polarkreis haben die arktischen Winde keine Chance. Uns bläst ein warmer Wind um die Nase.
Wir entfliehen dieser Hitze. Mein Wohnmobil, ein eingefleischter Italiener, kommt gut mit den heißen Temperaturen zurecht. Ich und meine Mitbewohnerin Julia machen uns auf den Weg in das zehn Kilometer entfernte Björkliden, ein touristisch geprägtes Gebirgsdorf. Leicht bekleidet und mit Turnschuhen bewappnet begeben wir uns auf eine kleine Wanderung, die uns parallel zu den Bahnschienen in Richtung norwegische Grenze führt. Wir wandeln auf dem Rallarväg. Der Weg wurde Ende des 19. Jahrhunderts zwischen Narvik in Norwegen und Luleå in Schweden errichtet, um Material und Werkzeuge für eine geplante Eisenbahnstrecke mit einer Länge von 200 Kilometern transportieren zu können. Das industrielle Wachstum in dieser Zeit brachte viele Ingenieure hervor. Diejenigen unter ihnen, die für den Bau von Bahnstrecken und Kraftwerken zuständig waren, wurden im Schwedischen als rallare (zu deutsch: Straßenarbeiter) bezeichnet.

Schweißgebadet schleppen wir uns durch den Wald. Teppiche aus Schmalblättrigem Weidenröschen (Epilobium angustifolium) und Alpen-Milchlattich (Cicerbita alpina) bedecken den Waldboden. Es gibt einige offene Sümpfe, in denen die letzten Gefleckten Knabenkräuter (Dactylorrhiza maculata) ihre Blüten aus der Grasvegetation herausstrecken. Wir erreichen den alten Friedhof, der aus den Zeiten stammt, als sich die Straßenarbeiter in diesem Wald niederließen. Anfang des 20. Jahrhunderts herrschten im Vergleich zu heute angenehme Arbeitstemperaturen, obwohl die Arbeitsbedingungen der Straßenbauer kaum erträglich waren. Ihr Tageslohn lag zwischen zehn und zwölf Kronen, was nach aktuellem Wechselkurs zwischen einem und 1,20 Euro entspricht. Die letzten 1,4 Kilometer zu unserem Ziel, dem Kratersjön, gehen bergauf. Eine echte Herausforderung für unsere erhitzten Gemüter.

Ein beherzter Sprung in das erfrischende Wasser des Kratersjön verschafft uns eine angenehme Abkühlung. Das Wasser ist klar, aber mit einer grünen Trübung. Es ist der 01. August 2018 und wir können in einem Gebirgssee nahe Abisko ausgiebig baden. Es fühlt sich fantastisch an. Doch plötzlich verdunkelt sich die Sonne. Beeindruckende Wolkenformationen entwickeln sich am Himmel. Ein Hitzegewitter zieht auf. Wir müssen uns beeilen, um den fünf Kilometer langen Rückweg zum Wohnmobil zu schaffen. Am Horizont schnellen helle Blitze in die Talsohle von Lapporten hinunter. Ein wahres Feuerwerk aus Blitzen prasselt auf die Erde nieder. Wir werden Zeugen eines weiteren extremen Ereignisses.
Seit drei Wochen bekommt Abisko diese Hitze zu spüren. Es ist ungewöhnlich heiß. Abisko hat normalerweise angenehm kühle Sommermonate. Kein Tag ist so heiß, dass ein T-Shirt oder eine kurze Hose angebracht wäre. In diesem Jahr ist alles anders. Unsere Arbeitskleidung ist luftig geworden. Auf dem Njúlla haben diese extremen Wetterereignisse dramatische Auswirkungen. Wo noch im letzten Jahr dicke Schneefelder die Erde bedeckten, die den ganzen Sommer über nicht geschmolzen sind, liegen heute Geröllfelsen frei. Hier wachsen noch keine Zwergsträucher, denn die Erde hat wohl seit langem kein Sonnenlicht gesehen. Innerhalb kürzester Zeit machen sich Pionierpflanzen auf dem kahlen Erdboden breit. Der Alpen-Säuerling (Oxyria digyna) dominiert auf diesen Flächen. Wir finden mit dem Zwerghahnenfuß (Ranunculus pygmaeus) eine weitere neue Art, die sich im letzten Jahr noch nicht auf dem Berg zeigte. Die Weidensträucher und Birken leiden unter der lang anhaltenden Trockenheit. Sie verfärben bereits ihre Blätter, was nicht am nahenden Herbst, sondern am Trockenstress liegt. Die Vegetationsperiode vieler Pflanzen hat sich enorm verkürzt. Die Bläuliche Moosheide (Phyllodoce caerulea) oder der Gegenblättrige Steinbrech (Saxifraga oppositifolia) haben bereits Ende Juli ihre Früchte ausgebildet. Die Trockenheit zwingt sie dazu.
Nur zwei Tage später befinden wir uns wieder in den gewohnten Wetterlagen. Es sind angenehme 14 Grad Celsius, der Himmel ist bewölkt und ein leichter Nieselregen begleitet uns durch den Tag. Die Wettervorhersagen für die nächste Woche spiegeln exakt dieses Wetter wieder. Kleine Schauer überziehen das Land und sowohl der Steinbrech als auch die Moosheide entwickeln zum zweiten Mal in diesem Jahr neue Blüten. Dem Regen sei dank.