Nach drei Tagen im Feld können wir heute einen freien Tag genießen. Wie es sich für waschechte Naturwissenschaftler gehört, verbringen Julia und ich den Tag in der Natur. Wir planen eine kleine Wanderung, die uns etwa vier Kilometer auf dem Kungsleden entlangführt, bevor die Route in Richtung Abisko abzweigt. Heute wandern wir nicht nur aus dem Grund, unserer Wanderslust nachzugehen. Wir hoffen auf die ein oder andere Leckerei aus der Natur.
Die Vorspeise
Das typische Bild Schwedens wird nicht nur geprägt von den roten Holzhäusern inmitten einer endlosen Landschaft aus Wäldern. Ebenso typisch sind die Hochstaudenfluren. Wer einmal mit dem Zug durch Schweden gefahren ist, dem sind die hochwachsenden Stauden mit ihren kerzenförmigen Blütenständen, die in einem leuchtenden Pinkton erstrahlen, sicher ins Auge gefallen.
Es ist das Schmalblättrige Weidenröschsen (Epilobium angustifolium), das sich als Pionierpflanze auf kahlen Böden rasant ausbreitet. Epilobion angustifolii ist eine typische Pflanzengesellschaft, die als Weidenröschen-Schläge oder Weidenröschen-Waldlichtungsfluren bezeichnet wird. Sie entwickeln sich prächtig in den Kahlschlägen von Fichten- und Kiefernforsten. Und da der Kahlschlag eine häufig genutzte Methode der schwedischen Forstwirtschaft ist, sind dem Weidenröschen beste Bedingungen gegeben. Durch das radikale Abholzen wird der gesamte Baumbestand vernichtet. Damit einhergehend ist die nahezu vollständige Zerstörung des Unterwuchses.
Die Folgen liegen in einer ungeminderten Sonneneinstrahlung, einer massiven Bodenerwärmung und einer Stickstoffmineralisierung. Der Boden vernässt, denn er bekommt die vollen Niederschläge ab, die vor dem Kahlschlag durch die Baumkronen abgefangen wurden. Diese veränderten Bedingungen führen dazu, dass sich auf nährstoffärmeren und sauren Rohhumusböden massenweise Weidenröschen entwickeln können. Es wird Zeit für den ersten Gang, denn auf unserer Wanderung kommen wir an unzähligen Stellen vorbei, an denen sich das Weidenröschen ausbreitet. Es gibt „Rallarros-Sallad“ * (Weidenröschen-Salat).
*Weidenröschen folgten den Bahntrassen, die durch die rallare gebaut wurden. Wohl deshalb bekamen die Pflanzen im Schwedischen ihren Spitznamen rallarrosen.
Zubereitung
In den Salat kommen die frischen Blüten der Weidenröschen-Blütenstände. Für etwas mehr Masse sorgen in Würfel geschnittene Gurken. Damit der Salat Farbe gewinnt, kommen Paprika hinzu. Der jetzt schon verführerische Salat wird mit einem Joghurt-Dressing aus Schwedenmilch (in Schweden filmjölk genannt) garniert. Das Dressing bekommt einen Schuss süßen Senf, Rosmarin und Kümmel und außerdem etwas Pfeffer und Salz. Für das gewisse Extra kann – wenn zur Hand – etwas Lakritz-Tagetes hinzugegeben werden. Das verleiht dem Salat ein frisch-süßliches Aroma.
Das Hauptgericht
Schweden ist ein Pilzland. Wer einmal in Deutschland auf Pilzsuche war, der weiß genau, dass man nur an den geheimen Hotspots eine Chance auf einen gut gefüllten Pilzkorb hat. In Schweden gibt es keinen Hotspot. Die Wälder sind im Herbst voll mit schmackhaften Pilzen. Vor allem Raufußröhrlinge sind in diesen nordboreal-subalpinen Birkenwäldern vertreten.
Nordschweden liegt in der borealen Nadelwaldzone. Kiefern, Fichten und Birken treten in mengenmäßig unterschiedlichen Kombinationen auf. In der Region um Abisko ist die Birke dominant. Sie bevorzugt ebenso wie die Kiefer die moorigen und sandhaltigen Böden. Kiefern sind vereinzelt in kleineren Beständen vertreten. Die Fichte fehlt gänzlich. Der extreme Nährstoffarmut der Böden zwingt die Bäume dazu, Symbiosen mit bestimmten Pilzen einzugehen. Sie stellen wirksame Nährstoff-Fallen dar.
Die Birken gehen Lebensgemeinschaften mit Birken-Rotkappen und Gemeinen Birkenpilzen dar. Birkenpilze und Rotkappen zählen zu den Raufußröhrlingen und sind ausgezeichnete Speisepilze. Unter dieser Bedingung wird es Zeit für den Hauptgang. Das Glück scheint mir heute hold zu sein, denn ich erspähe vier leuchtend orange-rote Pilzköpfe im Dickicht der niedrigen Sträucher. Sie sehen gut aus und zeigen nur geringe Anzeichen eines Madenbefalls. Der Koch empfiehlt als Hauptspeise „Oljad tegelsoppar med smak av havre och potatis“ (Geölte Birken-Rotkappen mit Geschmack von Hafer und Kartoffel).
Zubereitung
Die geputzten Pilze werden in Rapsöl gebraten, bis sie ihre Bissfestigkeit verloren haben. Weich gekochte Kartoffeln bekommen eine Soße aus filmjölk, Kardamom, Paprikagewürz und Salz. Sie werden zu einer breiigen Masse zerstampft. Dazu gibt es gebratenen Haferflocken-Maismehl-Taler, die vor dem Braten mit Salz und Oregano verfeinert werden. Sie bekommen als Dekoration eine Scheibe Käse, die im Backofen herrlich zerfließt.
Die Nachspeise
Schweden hat nicht nur einen üppigen Reichtum an Pilzen und Weidenröschen zu bieten. Ein strauchreicher Unterwuchs in den ausgedehnten Wäldern beschert dem Land eine Beerenpracht aus Blaubeeren (Vaccinium myrtillus) und Preiselbeeren (Vaccinium vitis-idae). Innerhalb dieser niedrigwüchsigen Strauchgesellschaften der sauren, nährstoffarmen und sandhaltigen Böden wachsen Krähenbeeren (Empetrum nigrum) und Rauschbeeren (Vaccinium ulliginosum). Diese Gesellschaften gelten als artenarm, denn außer den Vaccinium-Sträuchern gibt es hier kaum Pflanzen.
Im Gegensatz zu diesem artenarmen Lebensraum zeigen sich die feuchten Bachläufe in einem prächtigen Bild. Die nährstoffreichen Ufer werden gesäumt von der Pflanzengesellschaft Filipendulion, die besser bekannt sind als Mädesüß-Uferflur. In dieser Pflanzengesellschaft dominiert das Echte Mädesüß (Filipendula ulmaria). Es ist eine mahdempfindliche Pflanze, die sich in der unberührten schwedischen Natur besonders wohlfühlt. Mädesüß benötigt zwischen neun und zehn Jahre, um erstmalig Blüten zu entwickeln. Es dauert eine halbe Ewigkeit, bis ich eine Dose mit den Blaubeeren gefüllt habe. Ganz in der Nähe plätschert ein kleiner Bach und während ich mir meine blau-violett gefärbten Hände wasche, steigt mir ein süßlicher Duft in die Nase. Es ist das Mädesüß. Das kommt mir gelegen, denn mittlerweile ist es Zeit für den letzten Gang. Es gibt „Vit-blå mannagryn med älggräs“ (Weiß-blauer Grießbrei mit Mädesüß).
Zubereitung
Der Grießbrei wird nach Belieben mit Kokosmilch und Zucker oder weißem Sirup zubereitet. Die Mädesüß-Blätter geben ihr feines Aroma in dem kochenden Kokosmilchbad ab. Nach einigen Minuten können die Blätter entfernt und der Grieß untergerührt werden. Ist die gewünschte Konsistenz erreicht, wird der Topf vom Herd genommen. Der Grießbrei wird warm serviert und mit einigen Stückchen weißer Schokolade dekoriert. Der heiße Grießbrei zwingt die Schokoladenstücke zum Schmelzen. Als Topping eignen sich Blaubeeren hervorragend.