Die letzten drei Monate sind wie im Flug vergangen. Ein komisches Gefühl, denke ich an den Beginn zurück. Anfang Juni habe ich mich auf die Reise in den hohen Norden begeben. Abisko hat mich mit kalten Temperaturen und wechselhaftem Wetter empfangen. Die Berge waren schneebedeckt und die Vegetation wartete auf die ersten warmen Tage, an denen das Thermometer die 10°-Marke durchbricht. Sie wussten noch nichts von dem kommenden Extremsommer, der Europa in ein Chaos versetzen würde. Die ersten Tage im Feld waren kraftraubend. Wir kämpften gegen Kälte, Wind und Schnee an. Es dauerte nicht lange, und der Winter ging in einen milden Frühling über. Der Birkenwald ergrünte und in der Krautschicht zeigten sich massenweise Siebensterne, die mit ihren weißen Einzelblüten den Wald dekorierten. In der Baumlosen Zone bedeckten Polsterpflanzen wie Gämsheide, Diapensie und Stängellose Lichtnelke die Erde. Auf einen kurzen Frühling folgte ein knackiger Sommer, der sich in Abisko von einer ungewohnten Seite präsentierte. Die Hitzewellen reichten bis über den Polarkreis und bescherten uns Badewetter. Die Pflanzenwelt litt unter diesem extremen Wetter. Der Hitzestress führte dazu, dass die Vegetation bereits Anfang August ihr Blattwerk verfärbte. Oder sollten diese verfrühten Blattverfärbungen auf einen rasant nahenden Winter hindeuten? Glücklicherweise hielt diese warme Periode nur über drei Wochen an, bis der Regen für Abkühlung sorgte. Zahlreiche Pflanzen nutzten die plötzliche Wasserverfügbarkeit und setzten eine zweite Blüte an. Die Tageslänge verkürzte sich im August rasant und wir konnten romantische Sonnenuntergänge genießen. Die Temperaturen sanken wieder auf einen angenehmen Durchschnitt von 14° Celsius und auf mich warten die letzten Tage im Feld.
Es ist Zeit, Adé zu sagen. Die Arbeit ist getan und die Forschungsstation leert sich so langsam. Der Berg wird gelblich und sagt uns damit „Auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr“. Ich packe meine Sachen und verlasse das wunderschöne Abisko mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Viele schöne Erinnerungen bleiben mir für die Ewigkeit erhalten. Die Erlebnisse in und mit der Natur werde ich nicht mehr vergessen. Unzählige Fotos sind meine Zeugen für atemberaubende Momente. Meine neu erworbenen Kenntnisse und die wertvollen Kontakte werden mir in der Zukunft zu Gute kommen, auch wenn ich das zu diesem Zeitpunkt nur vermuten kann. Der Tag der Heimreise zeigt sich äußerst wechselhaft. Hat noch zu Beginn meiner Fahrt die Sonne von einem wolkenlosen Himmel geschienen, prasselt ab Kiruna ein heftiger Regen auf die Erde nieder. Ich fahre über einsame Autobahnen, auf denen kaum ein Fahrzeug unterwegs ist. Rentiere kreuzen den Weg. Sie sind kaum von der waldreichen Umgebung zu unterscheiden, denn ihr dunkelbraunes Sommerfell liefert eine perfekte Tarnung. Auf dem Weg nach Jokkmokk zieht ein dichter Nebel auf. Der Schleier aus winzigen Wassertröpfchen behindert meine Sicht so stark, dass ich die Straßenschilder erst im Vorbeifahren erkennen kann. Ich reduziere meine Geschwindigkeit drastisch, um bei möglichen Gefahren noch reagieren zu können. Meine Intuition rettet mich vor bösen Überraschungen. Ein Elch taucht aus dem Dickicht auf und bewegt sich von der rechten auf die linke Seite der Fahrbahn. Die Fahrt wird zusätzlich erschwert durch fehlende Straßenbeläge, doch diese Bedingungen sind mit bereits von meiner Hinfahrt nach Abisko bekannt. Nach einer achtstündigen Fahrt erreiche ich unseren Hof. Sicher, müde und unbeschadet. Ein weiteres Abenteuer in meinem Leben ist geschafft. Nun wartet ein neues Kapitel, ein neuer Abschnitt in meiner Wissenschafts-, Lern- und Kreativitätskarriere. Gefühle machen sich breit. Neugier. Spannung. Freude. Dieses Gefühlshoch wird durch ein perfektes Ereignis abgerundet. Ein wolkenfreier Nachthimmel macht Hoffnung auf die berühmten grünen Lichtschleier, die in wabernden Massen über den Himmel gleiten. Wir löschen das Licht und genießen bei atmosphärischer nordischer Musik, Kerzenschein und Wein die Nacht und das Beisammensein. Und da sind sie. Ganz plötzlich tauchen sie aus dem Nichts auf und erleuchten den gesamten Himmel. Es sind die ersten Nordlichter, die wir in Schweden genießen dürfen.
