Das Tor zur Vergangenheit

In einer Welt ohne Schrift bekommen Darstellungen eine besondere Bedeutung. Die Bronzezeit ist eine solche Epoche, in der das Darstellen einem heiligen Ritual gleicht und zugleich die Möglichkeit bietet, Erlebnisse, Wünsche und Gedanken für die Ewigkeit festzuhalten. Die Motive sind uns heute als Felsritzungen erhalten. Sie wurden in vom Wasser überflutete Felsen gemeißelt. Das Sonnenlicht traf auf die Wasseroberfläche und erzeugte einen spiegelnden Effekt. Es entstand – damals wie heute – ein faszinierendes und mystisches Zusammenspiel aus Linien, Formen und Effekten.

Doch das Zeichnen folgte strengen Regeln. Es gab Vorschriften, was abgebildet werden durfte. Und diese unterschieden sich zwischen Nord und Süd. Im Süden wurden Schiffe, Menschen, Sonnenräder, Landwirtschaftstiere, Karren und Waffen abgebildet. Die Felsritzungen des Südens werden als skeppsristningar („Schiffsritzungen“) oder jordbruksristningar („Ackerbauritzungen“) bezeichnet. In vielen Bildern sind göttliche Gedanken erkennbar. Darstellungen von Häusern, der Arbeit oder Kindern waren tabu. Die südlichen Felsritzungen stammen aus der Zeit zwischen 1.500 bis 500 v. Chr. und sind deutlich jünger als die in Nordskandinavien vorhandenen Bilder, die aus der frühen Bronzezeit stammen. Im Norden sind die Darstellungen naturalistischer. Sie sind unter der Bezeichnung viltristningar („Wildritzungen“) in die Geschichtsbücher eingegangen. Vögel, Fische, Elche, Jäger und Boote waren Motive für die Felsritzungen, die möglicherweise in Stein verewigt wurden, um ein besseres Jagdglück zu beschwören. Göttliche Darstellungen spielten keine große Rolle.

Diese Bilder der Vergangenheit sind heute unter normalen Bedingungen kaum zu finden. Was unter normalem Tageslicht nahezu unsichtbar ist, erscheint erst in der Nacht mithilfe einer Lichtquelle. Um diese Hinterlassenschaften sichtbar zu machen, nutzen Archäologen eine spezielle Technik der Belichtung. Diese Belichtungstechnik wird im Schwedischen als släpljus bezeichnet. Eine deutsche Übersetzung für diese Bezeichnung existiert nicht. Der Begriff beschreibt den Einfall des Lichts – in diesem Fall auf die Steinoberfläche – in einem extrem niedrigen Winkel. Genutzt wird eine sehr helle Lichtquelle. Die eingeritzten Linien werfen einen leichten Schatten. Je niedriger der Lichteinfall, desto länger werden die Schatten. Konturen werden sichtbar, die Geschichten aus einer längst verstrichenen Zeit erzählen. Sie sind die Brücke in die Vergangenheit.

 

Göttliche Eingebungen in Tanum

Der Gott der Fruchtbarkeit verbringt den größten Teil des Jahres im Reich der Toten. Wenn es Frühling wird, dann verabschiedet sich der Gott aus dem Totenreich. Er kommt in das Reich der Lebenden. Jedes Jahr beginnt dann das Ritual der Hochzeit zwischen Gott und Göttin. Er befruchtet sie und gleichzeitig alles Lebendige auf der Erde. Das Grün sprießt mit neuer Kraft aus der Erde und die Bäume treiben aus. Die Tiere bekommen Nachwuchs. Doch der Sommer an der felsigen Südwestküste in Tanum wird durch eine extreme Hitzewelle überschattet. Die Erde ist trocken. Gebete werden zum Himmel geschickt. Sie erzählen von Blitzen und sollen den Wettergott besänftigen. Der Wettergott wird auf die Gebete aufmerksam. Er fährt in seinem zweirädrigen Wagen, gezogen von einem Ziegenbock, durch die Welten. Blitze schnellen über den Himmel, wenn der Gott mit dem gehörnten Helm auftaucht. Etwa 1.500 Jahre später taucht der Donnergott Thor in einem ähnlichen Erscheinungsbild auf. Nach einem turbulenten Sommer kehrt der Herbst ein. Der Fruchtbarkeitsgott muss sich vom Reich der Lebenden verabschieden. Er zieht sich erneut zurück in das Totenreich. Die Bäume verlieren ihre Blätter. Gräser und Kräuter verwelken.

 

Hoher Besuch in Nämforsen

Ein neues Jahr beginnt in Nämforsen am Ångermanälven. Der reißende Fluss mündet direkt in das Meer. Im Sommer kommen Menschen aus dem Süden mit ihren prachtvollen Schiffen zu Besuch. Sie handeln, tauschen Geschichten aus und knüpfen neue Kontakte. Die Menschen aus dem Süden hinterlassen ganz besondere Andenken. Sie ritzen Sonnenräder, Fußsohlen und Schiffe in die Felsen. Der Fruchtbarkeitsgott ist über viele Jahrtausende in das Reich der Lebenden eingekehrt und hat die Organismen befruchtet. Die Wälder haben sich ausgedehnt. Das dichte Geäst unterdrückt den krautigen Unterwuchs. Elche finden nicht mehr genug Nahrung und können immer weniger Nachkommen produzieren. Die Jäger müssen um ihr Überleben kämpfen. Immer seltener werden Elche Teil ihrer zeichnerischen Darstellungen. Die Bilder sollen die Götter besänftigen, damit in den kommenden Jahren wieder genug Nahrung vorhanden ist. Kein Elch trägt ein Geweih, denn zur Jagdzeit im Herbst haben die Tiere ihr Geweih bereits abgeworfen, um Energie zu sparen. Die Menschen greifen auf andere Nahrungsquellen zurück und ernähren sich von Fisch.

 

Das Jägervolk in Norrfors

Etwas weiter nördlicher in Norrfors haben die Menschen genügend zu Essen. Sie treffen sich an den Ufern des Flusses, um Lachs zu fangen. Die Elche geben viel Fleisch ab. Die Menschen halten die reichen Zeiten für die Ewigkeit fest und ritzen die Silhouetten von unzähligen Elchen in Stein. Sie sind im Röntgenblick dargestellt. Innere Organe und das Skelett sind erkennbar. Eine Lebenslinie zieht sich vom Kopf bis zum Herz. Neben den Elchen steht ein einsamer Mensch. Er ist unbewaffnet und wirkt gedankenverloren. Er verharrt. Was mögen die Nachkommen über diese Darstellung denken? Welche Geschichten mögen sie sich wohl ausdenken, was diese Ritzung zu bedeuten hat?

 

Zurück in der Gegenwart

Währens wir über die Bedeutung der Felsritzungen philosophieren, macht sich der Magen bemerkbar. Er lechzt nach einem rustikalen Mahl, zubereitet auf dem Feuer. Schon beim Anblick der im Fett röstenden Mini-Kartoffeln läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Sie bekommen Gesellschaft von Kichererbsen, denn sie gehören schon seit Beginn der Bronzezeit zu den angebauten Hülsenfrüchten. Ebenfalls seit dem Ende der Bronzezeit angebaut wird die Ackerbohne (Vicia faba). Sie hat zahlreiche verwandte Arten, die wild wachsen und deren Früchte zwischen Sommer und Herbst gesammelt werden können. Sie passen hervorragend zu der Pfanne. Gedünstete Zwiebeln geben der Kichererbsen-Kartoffel-Kombination eine fruchtig-aromatische Note. Serviert wird die Pfanne mit einem dünnen Brot aus Weizenmehl, Leinsamen und Kümmel. Eine neuzeitliche Interpretation erfährt dieses urtümliche Gericht durch eine Soßenkreation. Sie besteht aus dem Abtropfwasser der Kichererbsen, angereichert mit getrockneten Riesen-Bärenklau-Blättern, Schnittlauch, Salz und Pfeffer. Einmal kurz mit einer Mehlschwitze aufgekocht, wird die Soße schön cremig. Mehr braucht es nicht für das bronzezeitliche Genusserlebnis.

Hier geht’s zum Rezept.

 

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