Als Wahlschweden beschäftigen wir uns immer wieder mit landestypischen Traditionen, was allerdings nicht immer positive Eindrücke hinterlässt. Heute ist der Tag gekommen, an dem wir gemeinsam mit unserem Besuch aus Magdeburg ein wahrlich polarisierendes Gericht testen. Entweder man liebt es, oder man hasst es. Es gibt kein dazwischen. Heute steht surströmming (= Saurer Hering) auf unserem Speiseplan.
Seit Menschen Fischfang betreiben, ist das Fermentieren die wichtigste Konservierungsmethode. Völker im Norden Russlands und Sibiriens packten den frisch gefangenen Fisch in Holzgefäße, salzten ihn und vergruben das Ganze im Permafrostboden. Die richtige Fermentierung erforderte Geduld, damit das Fischgewebe nicht zerfällt. Durch die konstant niedrigen Temperaturen konnte der Fisch langsam reifen. Nach acht bis zehn Monaten wurde das Endprodukt ausgegraben. Zu Tage kam ein schmieriger Haufen aus geleeartigen Fischkörpern, die in Brot gebacken oder als Suppe gegessen wurde.
Bis heute wird diese Art der Konservierung praktiziert. Im Kühlregal schwedischer Supermärkte kann man das ganze Jahr über surströmming kaufen, obwohl der Verkaufsstart auf den dritten Donnerstag im August eines jeden Jahres datiert ist. Bis in das Jahr 1998 war die surströmmingspremieren gesetzlich festgelegt. Der Staat wollte sichergehen, dass der Fisch für den Verzehr geeignet war. Obwohl die Regelung aufgehoben wurde, führen die Hersteller diese Tradition weiter.
Es ist erst Mai. Nur noch drei Monate bis zum offiziellen Verkaufsstart, aber unser Besuch kann nicht so lange bleiben. Wir machen uns auf nach Glommersträsk und checken die Surströmminglage. Ein paar Dosen stehen im Kühlregal. Auf einigen von ihnen leuchtet ein attraktives rotes Preisschild mit der Aufschrift „25 ,-“. Eigentlich greifen wir bei derartig reduzierten Lebensmittelwaren beherzt zu, aber in diesem Fall entscheiden wir uns für eine der nicht reduzierten Dosen, dessen Haltbarkeitsdatum noch nicht überschritten wurde. Das gewölbte Metall der Dosen zeigt uns, dass der eingelegte Fisch schön weiter gärt. Genau das, was wir wollen.

Wieder zu Hause angekommen laufen die Vorbereitungen für das Festmahl. In den verschiedensten Anleitungen zum richtigen Genuss von Surströmming wird empfohlen, die Dose besser im Freien zu öffnen und wir folgen der Empfehlung. Das Wetter verspricht einen lauen Sommerabend. Warum also nicht gleich draußen kochen? Wir packen einen kleinen Kanonenofen aus und befeuern ihn ordentlich. In der Hitze garen zuerst unser selbst gebackenes tunnbröd (= Dünnbrot) und anschließend in Scheibchen geschnittene Kartoffeln. Nach dieser Vorstellung in unserer rustikalen Outdoorküche durften sich unsere Gäste über das eigentliche Highlight freuen: die Öffnung der Surströmmingdose – eine Ehre, die mir zuteil wurde.
Outdoorküche mit Kanonenofen | © Christine Riel Rauch steigt auf | © Christine Riel Tunnbrödzubereitung | © Christine Riel
Eingetaucht in einem großen Topf voller Wasser setze ich den Dosenöffner seitlich an die Konserve. Ein Stich und schon blubbern Luftblasen aus der Dose. Angst macht sich im Körper breit. Werde ich gleich ohnmächtig nach hinten kippen? Oder verspürt mein Körper das Bedürfnis, das Frühstück von heute Morgen nach draußen zu befördern? Es dauert einen Moment, bis das Aroma zu meiner Nase vordringt.
Das Surströmming-Geheimnis wurde gelüftet | © Johannes Hansen Dike kann dem Fischgeruch kaum widerstehen | © Johannes Hansen
Ich bin überrascht, denn nichts dergleichen passiert. Ganz im Gegenteil: der Geruch ist in keinster Weise so schlimm, wie es in unzähligen Youtube-Videos vermittelt wird. Ein wenig streng wie gammeliger Kohl, aber es gibt Schlimmeres. Ein Fehler unterläuft mir dann aber doch, trotz der sorgfältigen Recherche über den gefahrenlosen Genuss. Ich gehe rein in die Küche, um den Fisch abzuwaschen. Sofort breitet sich der Duft der Fermentierung in der Luft zwischen Küche und Flur aus. Je länger ich an der Spüle stehe, desto schlimmer wird es. Beeilung ist angesagt.

Das Festmahl kann endlich beginnen. Auf das tunnbröd kommen Kartoffelscheiben und Fisch, der schließlich mit einer Soße aus Crème fraîche und klein gehackten roten Zwiebeln garniert wird. Es sieht köstlich aus und lädt ein zum herzhaften Reinbeißen. Einer nach dem anderen probiert den Fisch und die ersten Reaktionen fallen überraschend positiv aus. Also wage auch ich mich entschlossen und mutig an mein belegtes Brot. Ein Biss und …. mir vergeht der Appetit. Der strenge Geschmack übertönt alles. Selbst die scharfen Zwiebeln tragen nichts zur Verbesserung bei. Allerdings sitze ich mit dieser Meinung alleine am Tisch, denn alle anderen scheinen mit dem traditionellen Gericht kein Problem zu haben. Ganz im Gegenteil: in einigen Gesichtern zeichnet sich der Ausdruck wahrer Genießer ab. Selbst als Brot, Kartoffeln und Soße verspeist sind, wird der Fisch nicht verschmäht, sondern mit höchstem Genuss pur verzehrt. Ein wahrhaft unvergessliches Erlebnis, von dem wir noch einige Tage zehren werden. Der Duft steht noch immer in der Küche und auch der Dosenöffner hat den intensiven Geruch absorbiert.
Tunnbröd mit surströmming, Kartoffeln und Creme-fraiche-Zwiebeln | © Johannes Hansen Surströmming essen pur – mit einem Lächeln im Gesicht | © Johannes Hansen
Jetzt muss ich doch hier mal einen Kommentar ablassen … sehr, sehr schön geschrieben und der spannende Abend steht mir wieder vor Augen, jetzt wo wir inzwischen leider wieder zu Hause sind. Auch dank der wunderbaren Fotos ist alles lebendig. Ich kann es bezeugen, man kann Surströmming durchaus essen…allerdings vielleicht nicht unbedingt pur. 😉
Es war ein unvergessliches und schönes Erlebnis.
Liebe Grüße Kerstin
Es war sehr schön, dass ihr uns besucht habt! So viel Abwechslung hatten wir lange nicht, ganz zu schweigen von den vielen Gästen 😀