Vildmarksvägen #1 – Magische Momente

Eine der höchst gelegenen Straßen Schwedens, die ursprünglich aus industriellen Gründen erbaut wurde, hat sich zur touristischen Attraktion entwickelt. „Fjällvandra med bil“ – Mit dem Auto durch die Berge wandern, lautet das Motto dieser Tour. Die Landschaft durchläuft auf den 500 Kilometern spektakuläre Veränderungen. Es geht quer durch Wälder und Sümpfe in die Gebirgswelt Jämtlands und des südlichen Lapplands und wir stellen unser Wohnmobil auf die Probe.

Häuser erzählen Geschichten

Unsere Tour beginnt in der alten Kirchenstadt von Vilhelmina. Diese Ansiedlung hat ihren Ursprung in den 1770er Jahren. Hier kamen Bauern zusammen, um wichtige Zusammenkünfte in der Gemeinschaft zu feiern. Die Häuser durften nur während der Wochenenden bewohnt werden. Ganz anders verlief das Leben in der nahegelegenen Kirchenstadt Fatmomakke, denn diese Ort galt als Begenungsplatz zwischen Samen und christlichen Siedlern. Vilhelmina blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück. Ursprünglich unter dem Namen Volgsjö gegründet, musste sich die Siedlung im Laufe ihrer Geschichte gegen zwei verheerende Brände behaupten. Von den ursprünglich rund 80 Holzhäusern sind 27 Hütten bis heute als stumme Zeugen erhalten geblieben.

Die Samen haben ihre Spuren in der gesamten Region hinterlassen. Wer genau hinhört, kann die Laute der alten Schamanentrommeln hören. Weil die Besitzer dieser mit Sonnen und Tieren bemalten Instrumente wegen ihres Glaubens verfolgt wurden, versteckten sie ihre Trommeln tief in den Wäldern. Immer mehr Spuren der samischen Kultur gehen verloren und drohen in Vergessenheit zu geraten. Dieser Entwicklung versuchen Vereine entgegenzuwirken. Mitten auf dem kyrkberget in Vilhelmina stehen nachgebaute Hütten der samischen Kultur. Obwohl ihre ursprüngliche Funktion heute bedeutungslos ist, so versprühen die eigentümlichen Bauwerke eine bezaubernde Magie. Aber vielleicht ist es auch der Klang uralter Trommeln, die versteckt liegen in den endlosen Weiten Sápmis, dem Land der Samen.

Geschichtenschreiber

Wir fahren von Vilhelmina in Richtung Stekenjokk, begleitet vom Kultsjöån. Der Fluss hat die Landschaft geprägt und einige spektakuläre Formationen hinterlassen. Litsjöforsen gehört zu den unbekannteren Sehenswürdigkeiten. Der treppenstufenartige Wasserfall ist der kleine Bruder des Trappstegsforsen. Wir machen einen kurzen Stopp an beiden Wasserfällen. Das Wasser hat hier beeindruckende Kaskaden in den Untergrund geschliffen. Doch von Ortskundigen Schweden erfahren wir, was eigentlich hinter der Naturromantik steckt. Der Mensch hilft ein wenig nach, damit der Ort auch weiterhin so attraktiv bleibt. Während der Saison wird ein Damm oberhalb des Trappstegsforsen-Wasserfalls geöffnet, sodass das Wasser über die Treppen strömt. Die Prozedur zeigt Erfolg. Wenn das turistvatten fließt, zücken die Touristen ihre Fotoapparate – übrigens ein Phänomen, welches häufiger an sehenswerten Flussbetten vorkommt. Wir schwimmen ausnahmsweise mit dem Strom und schießen ebenfalls ein paar Erinnerungsfotos.

An diesem Abend finden wir einen Ort, an dem die meisten Touristen wohl nur vorbei fahren. Auf den ersten Blick erinnert der Platz am Kultsjö an eine mit Schotter plan gemachte Fläche. Doch irgendetwas scheint in der Luft zu liegen. Ist es der Rauch, welcher über der Windschutzhütte am See in den Himmel steigt? Oder der sanfte Wind, der von den Bergen über das Wasser fegt? Nachdem die Familie ihre Heimreise antritt und wir die Hütte in Beschlag nehmen können, offenbar sich uns die Magie dieses Platzes. Ein faszinierendes Feuerwerk der Farben überzieht den Himmel und hebt die Wolken kontrastierend hervor. Es ist der wohl schönste Rastplatz im ganzen Land und genau hier fand der Hobbyarchäologe Knut Tinnberg 2.300 Jahre alte Überreste einer alten Vase, die als Kultsjökrukan in die Geschichte einging.

Im Reich der Rentiere und Polarfüchse

Einige Kilometer weiter wartet das nächste Highlight auf uns, doch wegen des stürmischen Wetters nur einen kurzen Halt auf dem Plateau Stekenjokk. Der Abend naht mit großen Schritten und wir machen uns auf die Suche nach einem Stellplatz für die Nacht. Je weiter wir durch das Gebirge fahren, desto mehr entfacht sich das Begehren nach wilder Natur und Einsamkeit. Wir werden fündig und finden einen Parkplatz inmitten einer atemberaubenden Landschaft. Graue Wolkenbänder ziehen sich mühevoll über die Berggipfel und lassen gelegentlich etwas Licht durchschimmern. Von den Bergen scheint ein unhörbarer aber spürbarer Ruf zu ertönen. Es ist der Klang der Wildnis, der schon die Samen in einer längst vergangenen Zeit verzauberte.

Skåarnja ist ein sehr junges Naturreservat, das erst im Jahr 2017 gegründet wurde. Es umschließt Wälder, Gewässer und die durch Klimawandel bedrohten alpinen Regionen oberhalb der Baumgrenze. In dieser Region existieren alte Siedlungsplätze der Samen – heute haben die Menschen das Recht, hier ihre Rentierzucht zu betreiben. Doch im Sommer 1973 wurde die Naturidylle gestört. Das Unternehmen Boliden Mineral AB beschloss, in der Umgebung Stekenjokk eine Kupfergrube zu errichten. Um das Material zu transportieren, wurde der Stekenjokkvägen gebaut – der heute den spektakulärsten Teil des Vildmarksvägen ausmacht. Glücklicherweise wurden die Grubenarbeiten 1988 eingestellt und die Natur kann sich zurückholen, was ihr genommen wurde. Polarfüchse erobern sich in geheimer Mission das Land. Wer sie zu sehen bekommt, darf sich glücklich schätzen. Uns bleibt diese Beobachtung leider erspart.

Magische Gebirgswelt | © Johannes Hansen

Fortsetzung: Vildmarksvägen #2 – Sinneserweiterungen

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