Wind und Wetter erschweren mir das Vorankommen, doch glücklicherweise sitzt mir die Zeit nicht im Nacken. Obwohl die Sonne mittlerweile hinter dem Horizont verschwindet, wird es nicht dunkel. So kann ich diese Wanderung in vollen Zügen genießen und versuchen meinen Seelenfrieden zu finden.
Ich trotze den Bedingungen und kämpfe mich weiter voran über die Hochebene. Auf der nördlich ausgerichteten Passage sind die Spuren des letzten Winters noch deutlich zu sehen. Fast vegetationslose Flächen, die vermutlich bis vor ein oder zwei Wochen noch von Schneefeldern bedeckt waren, wirken durch ihr eintöniges Braun des Lebens entzogen. Nur bei genauerem Hinschauen geben sich kleine Blättchen der typischen Schneefeldvegetation aus kriechenden Zwergweiden zu erkennen.

Nachdem ich die Plateaus hinter mir gelassen habe, führt mich der Weg bergab ins Tal. Zwergsträucher und Krautvegetation verdichten sich mit jedem Höhenmeter, den ich hinabsteige. Ich durchquere einen Birkenwald, dessen Antlitz von mystischen Seen, wilden Bachläufen und undurchdringlichen Wedeln des Gebirgs-Frauenfarns geprägt ist. Eine seltsam mystische Atmosphäre legt sich wie ein Schatten über den Wald und hinterlässt ein Gefühl von Respekt. Dem Schicksal sei Dank, dass ich zu diesem Zeitpunkt nichts von potentiellen Beobachtern wusste, die ihre Augen im Dickicht auf mich richten könnten. Erst nach Ende meiner Reise werde ich erfahren, dass das Wäldchen ein wunderbarer Schutzort für Bären ist.

Das vor mir liegende Schutzgebiet wartet gleich mit mehreren Rekorden auf, denn dieses bildet nicht nur den nördlichsten Nationalpark Schwedens, sondern beherbergt auch den am weitesten im Norden gelegenen Gletscher. Zudem ist dieser Park von all seinesgleichen am schwersten zugänglich, was das Wandererherz natürlich ein ganzes Stück höher schlagen lässt. Wer es auf den gleichnamigen Berg geschafft hat, wird nicht nur mit atemberaubenden Ausblicken belohnt. Es wartet zudem eine artenreiche Flora, welche sich auf den hier vorherrschenden Kalkboden angepasst hat. Dieser führt zugleich zum letzten Rekord, denn in dem leicht verwitternden Kalkgestein haben sich Schwedens größte Karstgrotten gebildet. Die tiefste von ihnen führt 155 Meter in den Berg hinein.

Die letzten Schritte dieses Tages führen mich über eine Brücke direkt zum Anfang des Nationalparks. Ich schlage mein Zelt auf einer Freifläche direkt über dem Fluss auf und mache mich bereit für meine Nacht in der Einsamkeit. Zehn Grad sind keine unmenschlichen Temperaturen für eine Übernachtung im Zelt – kuschelige Thermounterwäsche und Daunenschlafsack vorausgesetzt. Trotz gemütlicher Wärme wache ich immer wieder auf und stelle beruhigt fest, dass außer dem rauschenden Fluss unter mir keine Geräusche wahrnehmbar sind. Die Dunkelheit zeigt sich nur zaghaft und mit dem nächsten Augenaufschlag ist der Morgen gekommen. Meine Behausung hat sich während der Nacht in ein Paarungslager für unzählige blutrünstige Insekten entwickelt. Zu meinem Glück hält das Mückennetz was es verspricht, sodass ich nicht von den kleinen Biestern im Schlaf aufgefressen wurde.

Der Morgen beginnt gemütlich bei einem Müsli mit frischem Flusswasser. Dass die Niederschlagsmenge im Vadvetjåkka pro Jahr drei Mal höher liegt als im Abisko Nationalpark, bekomme ich heute mehrmals zu spüren. Unbeständige Wetterereignisse zwingen mich zur Eile, um mein Zelt möglichst trocken einpacken zu können. Meine Reise führt mich heute auf einen Berg namens Vádveváráš, von dessen Ostseite sich ein Panoramablick über das wilde Flussdelta im Nationalpark eröffnet. Es regnet mittlerweile Bindfäden vom Himmel und die kniehohen Storchschnabel-Nelkenwurz-Trollblumen-Ansammlungen lassen meine Füße innerhalb kürzester Zeit im Nassen stehen. Mein Kämpfergeist wird belohnt. Der Himmel öffnet sich immer wieder, als ich einen Aussichtspunkt erreiche. Eine vollkommene Wildnis gibt sich mir zu erkennen und ich stehe alleine hier mit nichts in meinem Kopf als den traurigen Gedanken an meinen Lieblingsvogel. Ich weiß, dass ich genau an diesem Ort loslassen kann. Ein Atemzug und ich bin frei und lasse mich mit dem Wind treiben.

Vadvetjåkka #1 – Reise nach Skyrim