Das Quecksilber sinkt in den zweistelligen Minusbereich, ohne selbst die untere Grenze zu kennen. Vernebelte Schimmer eines dunstig verhangenen Mondes zieren den Himmel, während die filigranen Kristalle des schweren Schneemantels im sanft weißen Licht wie Milliarden winziger Diamanten glitzern. In den Bann gezogen von dieser atemberaubenden Brillianz scheinen die Ohren ein kaltes Klirren zu vernehmen, das mit jedem Funkeln und Glitzern der tiefschwarzen Nachtstille eine bizarre Melodie schenkt. Die einzig realen Geräusche, die sich in diesem Augenblick ausbreiten, ist das Knarzen meiner sich vorwärts bewegenden Füße im Schnee. Willkommen in der Finsternis.
Seit jeher sieht der Mensch die Dunkelheit als Angstgegner an. In ihr liegt das Unbekannte verborgen, dessen Unbegreiflichkeit für seltsame Wallungen in den Gehirnwindungen sorgt. Unbehagen erfüllt denjenigen, der sich schutzlos dieser einschüchternden Macht aussetzt und ein jeder mag mir wohl zustimmen, das die wohlige Wärme des Lichts für ein sicheres Gefühl der Behaglichkeit sorgt und man sich gerade in den kalten Winternächten mit großem Verlangen nach ihr sehnt.

Seit jeher reizt mich das lichtscheue Wesen der Finsternis. In Kindheitstagen durchaus von Ängsten durchsetzt, strebt mein gereifter Geist heute nach genau dieser eindrucksvollen Atmosphäre, die mich wie ein mystischer Schleier umgibt. Die Angst in genau dem Moment loszulassen, in welchem das Auge keinen klaren Umriss zu vernehmen mag, gleicht einer mentalen Befreiung. Wer sich einmal ohne die Zuhilfenahme einer Lichtquelle durch den Wald bewegt hat, wird nach kurzer Zeit bemerken, wie sich die Augen langsam aber stetig an die Bedingungen gewöhnen und immer mehr wahrnehmen – doch wichtiger als das Aufsaugen von bildlichen Darstellungen ist die Verschärfung der sonst so vernachlässigten Sinne. Geräusche erscheinen intensiver, Gerüche überschlagen sich und Gefühle, ja Gefühle schlagen in bisher unbekannter Weise Wellen im Körper. Emotionen bekommen in dieser unwirklichen Welt einen ganz anderen Wert.

Wer sich den Mächten der Finsternis hingibt, begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Völlig fern von visuellen Einflüssen und Fremdsteuerung durchläuft der Geist lehrreiche Phasen, die ihm in der alltäglichen Lichterwelt womöglich verborgen bleiben. In der Dunkelheit baden sich Äußerlichkeiten und Auftreten in Bedeutungslosigkeit. Die innere Odyssee startet bei der Selbstfindung und entfaltet sich in der Selbsterkenntnis, in der sich hinderliche Blockaden lösen und Probleme des Alltags plötzlich in eine Lachnummer verwandeln. Und da sich sämtliche Sinne im Dunkeln schärfen, das geistige Vermögen auf ganz anderen Ebenen arbeitet und die Emotionen völlig andere Dimensionen annehmen, erlebt der gesamte Körper eine Entfaltung der unbekannten Art.

Die Finsternis erweckt in mir eine energetische Kreativität. Nicht ohne Grund sitze ich in diesem Moment in meinem vom Kerzenschein erleuchteten Schwedenhäuschen und lasse meinem Gedankenfluss freien Lauf. Ich genieße diese schummrige Abendbeleuchtung mit allen Sinnen, welche die Geheimnisse der Abendstunden bewahren und vor mir verbergen. Ich liebe genau diesen einsamen schwedischen Winter trotz all seiner Tücken und Anstrengungen, denn er bietet mir die Gelegenheit, mich selbst zu finden, zu erleben und zu lieben.

Es sind genau diese dunklen Mächte, die den Nährboden für den Glauben an uns selbst darstellen. Dieses Selbstvertrauen muss wohl in jedem Leben einen von scharfkantigen Steinen geprägten Weg überwinden. Es erfordert viel Geduld und Mut, bis sich der Glaubenskeim zu einem standhaftes Gewächs entwickelt hat. Gehe diesen Weg und lass ihn durch deine Gedanken, deine Ideen und deinen Geist Gestalt annehmen. Begieb dich auf die unbekannte Reise in die Dunkelheit. Habe Geduld mit dir und versorge den Glauben mit Nährstoffen, die dir in deinem Alltag verborgen bleiben. Vertraue den mystischen Kräften und lass Wunder geschehen!