Glückselixier #1: Ich lausche den Stimmen

Ein Stadtkind war ich noch nie. Jedes Mal, wenn ich eine Stadt besuche, fühle ich mich gestresst und innerhalb kürzester Zeit saugt mir diese Umgebung die Lebensenergie aus dem Leib. Ausgeglichen und mit mir selbst im Reinen fühle ich mich in der wilden Einsamkeit. Hier habe ich die Möglichkeit, tief in meine Seele zu blicken und mich auf das Wesentliche zu besinnen. Die Geräusche der Natur sorgen für eine musikalische Untermalung. Schon immer war ich begeistert von flatternden Wesen, die verspielt in den Bäumen herumturnen und ihre gesanglichen Talente zur Schau stellen. Vögel gehören zu meinem Leben wie die Luft zum Atmen. Seit ich Denken kann, bin ich vernarrt in diese Federknödel.

Zu Zeiten, in denen ich noch quer durch Deutschland reiste und Berufserfahrungen sammelte, nahm die Vogelkartierung einen kleinen Teil meines Alltags ein. Im frühen Morgengrauen wandelte ich durch Wälder, über Wiesen und Felder, um jede einzelne Stimme wahrzunehmen und zu identifizieren. Noch bevor die Sonne über den Horizont steigt, beginnen die ersten Sänger mit ihrer Darbietung. Allmählich entwickelt sich aus den vereinzelten Stimmen ein improvisatorisches Chaos, in welchem jeder Beteiligte sein individuelles und willensstarkes Können zu präsentierten versucht. Rotschwänze, Singdrosseln, Rotkehlchen, Goldammern und Grasmücken – jedes Federtier entwickelt seinen eigenen melodiösen Gesang, der das Klangbild der Landschaft in eine kunterbunte Kulisse verwandelt und Gefühlswallungen in meiner Seele verursacht.

Seit meinem 21. Lebensjahr hat es mich immer wieder in die einsame Ferne Schwedens gezogen. Die menschenleere Wildnis mit ihrem rauen Charakter erweckte eine sehnsuchtsvolle Faszination, die sich am Ende in die Triebkraft meiner Auswanderung verwandelte. Die schönsten Vogelportraits gelangen mir in den tiefen Mischwäldern Südschwedens, an der schroffen Ostküste oder in der wilden Bergwelt des Nordens. Wann immer ich einen Vogel zu Gesicht bekomme, arbeitet mein fotografischer Jagdinstinkt auf Hochtouren. Federtiere ziehen mich in ihren Bann und ich kann nicht anders, als ihrem Ruf zu folgen. Ich vergesse die Zeit, verirre mich im Raum und vergesse alles um mich herum. Plötzlich sieht sich mein Geist der geballten Intensität des Moments gegenüberstehen.

Nun sitze ich im verschneiten Jämtland und lasse meinen Blick aus dem Fenster schweifen, während ich über die Macht der Vogelstimmen nachdenke. Der Winter hat den hohen Norden noch fest im Griff. Bei meinen täglichen Spaziergängen vernehme ich trotz gelegentlicher Wintereinbrüche mit eisigen Temperaturen und Schneemassen erste Anzeichen des nahenden Frühlings. Es sind nicht nur die anschwellenden Knospen am Weidengeäst, sondern zarte Stimmen, die aus den Tiefen der Wälder hervordringen. Birkenzeisige bewegen sich in der harmonischen Dynamik ihres Schwarms von einem Ast zum nächsten und geben während ihrer eifrigen Futtersuche zierliche Laute von sich. Gimpelmännchen mit rubinrot gefärbter Brust tragen ihr melancholisch angehauchtes Werk vor. Ein Schwarzspecht ruft mit eindringlicher und kreischender Stimme in der Ferne. Es ist ein noch sehr zaghafter Kanon, der auf Stimmbeteiligung wartet und dennoch hinterlässt der Chor aus Vogelstimmen einen bleibenden Eindruck in meinem Herzen.

All diese Geschichten erzählen von Erlebnissen, die etwas in mir veränderten. Diese Empfindung ist vergleichbar mit einer unsichtbaren Macht, die einen Schalter umlegt und sonst verborgene Gefühle zum Leben erweckt. In jeder dieser Situationen explodierte meine innere Gefühlswelt. Ein Feuerwerk aus energetisierenden, belebenden, aufregenden und inspirierenden Regungen oder kurz gesagt: Eine Explosion von Glücksgefühlen erfüllte mich. Vögel bereichern unser Leben und ihr Gesang erweckt in uns positive Stimmungen, lässt uns den Stress vergessen und Freude empfinden. Die Experten dieser Welt haben es belegt: Der Vogelartenreichtum macht uns mindestens genauso glücklich wie Geld auf dem eigenen Konto. Ein Grund, die Arbeit einmal mehr ruhen zu lassen, stattdessen einen ausgiebigen Spaziergang zu unternehmen und für einen Moment glücklich sein. In diesem Sinne wünsche ich euch einen vogel- erkenntnisreiche Woche!

Der nächste Blogbeitrag befasst sich mit der zweiten Hauptzutat meines Glückselixiers und an dieser Stelle sei gesagt: Hosen sind es definitiv nicht!

1 Kommentar zu „Glückselixier #1: Ich lausche den Stimmen

  1. Ein schöner Beitrag. Ganz überraschend und schön. Danke. Dann bin ich auf das nächste Elixier gespannt. Nach dem Vogelgesang vielleicht etwas Rock (Musik)? Da es ja keine Hosen sind…
    Ich warte voller Vorfreude.

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